Inhaltsangabe:
In einem der heruntergekommenen Ateliers des Gebäudes Rue Hippolyte-Maindron 46 im 14. Pariser Arrondissement. Eine Sommernacht des Jahres 1933.
„Den Schweizer Alberto Giacometti lernt sie kennen, als er an seinen surrealistischen Objekten arbeitet. Meret Oppenheim besuchte ihn ab und zu im Atelier, hielt sich hier stundenlang auf und zeichnete eines Tages „L’oreille de Giacometti“, das Ohr des Künstlers.“ (Bice Curiger)
„Albertos Werkstatt war die erste linker Hand, wenn man in die Passage trat. Die winzigen Ausmaße des Ateliers waren keine Täuschung,…denn es hatte knapp 24 Quadratmeter. Dafür war die Decke solide und hoch. An der Rückwand befand sich allerdings eine schmale hölzerne Galerie, zu der man über eine steile Treppe gelangte. Ein großes Fenster mit Nordlicht ging auf die Passage hinaus. Darüber befand sich noch ein Fenster, das Licht von oben hereinfallen ließ. Anfangs gab es nie etwas anderes als einen Kohleofen; Platz war nur für ein Bett, einen Tisch, einen Schrank, einen oder zwei Stühle, die notwendigen Staffeleien und Böcke für die Plastiken. Es war ein unansehnlicher, prosaisch trüber Raum.“ (James Lord)
„Giacomettis Atelier…glich dem furchtbaren Chaos, wo, in der Frühe des ersten Schöpfungstages, Hyle und Morphe noch nicht streng geschieden waren. Ob das aufragende Etwas zwischen Müllhaufen ein Pinselstiel sei oder eine verworfene Statuette, blieb von Weitem nicht entscheidbar. Die Wände waren von Kritzeleien und Pinselhieben übersät, die zwischen Nochnicht- und Nichtmehr-Kunst durcheinander wogten.“ (Beat Wyss)
„Drinnen ist ein schmales Sofa, ein Tisch, ein Schemel. Eine einzige vollendete Büste, vollendet, weil sie in Bronze gegossen ist. Am Boden einige Porträts und ringsum aufgereihte, bloß angedeutete Körper aus Gips, die mit dem Rücken zur Wand darauf warten, von Giacomettis Blick hingerichtet zu werden.“ (Pierre Dumayet)
„Dieses Atelier im Erdgeschoß kann übrigens jeden Augenblick einstürzen. Es ist aus wurmstichigem Holz, aus grauem Staub, die Statuen sind aus Gips, zeigen die Schnur, das Werg oder ein Stück Draht, die Leinwände, grau bemalt, haben seit langem die Ruhe verloren, die sie beim Farbenhändler hatten, alles ist fleckig und brackig, alles schwankend und nahe dran, einzustürzen, alles neigt dazu, sich aufzulösen, alles fließt: aber alles ist wie in einer absoluten Realität gefasst.“ (Jean Genet)
„Aus seinem Atelier in der Rue Hippolyte-Maindron, das etwas von einem Schuppen, einem Wohnwagen hat, macht er durch seine bloße Anwesenheit einen Palast.“ (Patrick Waldberg)
Die Skulptur „Der Palast um vier Uhr früh“ aus dem Jahr 1933 bezieht sich laut Alberto Giacomettis eigener Aussage auf „einen Zeitraum von sechs Monaten, den ich in der Gegenwart einer Frau verbrachte, die alles Leben in sich konzentrierte und mich jeden Augenblick in einen Zustand der Verzauberung versetzte. Wir errichteten in der Nacht einen fantastischen Palast – einen sehr zerbrechlichen Palast aus Streichhölzern. Bei der kleinsten falschen Bewegung stürzte ein ganzer Teil ein. Wir begannen immer wieder von vorne.“
Infotext:
Dieses Hörspielmanuskript entstand bereits im Jahr 1999. Damals wurde es von allen Hörspielredaktionen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten abgelehnt und verschwand anschließend für 25 Jahre in einer Schublade des Autors. Zum Zeitpunkt seiner Entstehung war an eine Eigenproduktion allein wegen fehlender technischer Möglichkeiten überhaupt noch nicht zu denken. Dies hat sich erfreulicherweise grundlegend geändert. Der Hartnäckigkeit der Sprecherin Dána-Maria Dewerny ist es jedenfalls zu danken, dass sie nach einem Hörspieltext suchte und sich schließlich für dieses Manuskript entschied. Ein glücklicher Zufall wollte es auch so, dass sich der Sprecher Thomas Fedrowitz ebenso für die Thematik wie auch für den Inhalt begeisterte und er sogar über ein eigenes kleines Wortstudio verfügte. Innerhalb zweier Aufnahmesitzungen waren die Dialoge eingesprochen. Die Postproduktion und Regie übernahm schließlich der Autor selbst.
Die Sprecher:
Dána-Maria Dewerny, Die gebürtige Berlinerin begann ihre künstlerische Ausbildung an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin und beendete sie mit dem Diplom als Opernsängerin. Nach vielen Jahren auf der Opernbühne im In- und Ausland einschließlich der jahrelangen Mitwirkung bei den Bayreuther Festspiele entschied sie sich 2019, ihren Fokus auf die Arbeit vor dem Mikrofon zu setzen. Sie absolvierte eine zusätzliche Ausbildung als Schauspielerin und Sprecherin und arbeitet seitdem als Hörbuch-, Hörspiel- und Synchronsprecherin. Für die hoerbuchedition words and music sprach sie bisher „Landparte“ von Eduard von Keyserling, „Rappaccinis Tochter“ von Nathaniel Hawthorne und „Die Biene Maja“ von Waldemar Bonsels.
Thomas Fedrowitz, geboren 1968, aufgewachsen in Chile und Osnabrück, studierte Schauspiel in Berlin, lebte in Prag und Paris. Er spielt seit Jahren in der freien Theaterszene und singt in verschiedenen Musikformationen. Als Sprecher ist er in vielen Hörspielen zu hören. Mit einer Lesung der „Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ von Jaroslav Hašek gab er sein Debüt als Interpret für die hoerbuchedition words and music.
Der Autor:
Peter Eckhart Reichel, geb 1957 in Dresden, ist Autor, Hörspielregisseur und Hörbuchproduzent. Er erhielt für mehrere seiner Hörbuchproduktionen anerkannte Auszeichnungen, u. a. durch die Juroren der hr2-Hörbuchbestenliste oder zwei Nominierungen für den Deutschen Hörbuchpreis 2008 und 2011, darunter auch eine für sein erstes Hörspiel „Barclay & Felipe“.